Der Ort mit der größten Reichweite in der Musikalischen Bildung ist der Musikunterricht an den allgemein bildenden Schulen. Nur hier können und müssen alle Schülerinnen und Schüler erreicht werden, unabhängig von den sozialen Kontexten oder dem Bildungsstand und den finanziellen Ressourcen der Eltern. Ein professioneller schulischer Musikunterricht mit vielfältigen Handlungsformen wie Singen, Spielen, Bewegen, Tanzen, Hören, Improvisieren, Diskutieren und Reflektieren ist qualifizierender Teil der Allgemeinbildung und damit unverzichtbar. Er kann Kinder und Jugendliche auf einen vielfältigen und lebenslangen Umgang mit Musik vorbereiten und wichtige Grundlagen für die Partizipation an musikalischen Praxen legen.
Am 11. März 2020 haben der Deutsche Musikrat, die Konferenz der Landesmusikräte und die Bertelsmann Stiftung die gemeinsam initiierte Studie »Musikunterricht in der Grundschule. Aktuelle Situation und Perspektiven« veröffentlicht.
Bisher war es eher ein Gefühl, dass Musikunterricht in der Schule nicht kontinuierlich und qualifiziert genug erteilt wird- von zu wenigen Lehrkräften. Obwohl die Unterschiede zwischen den Bundesländern groß, sind gelang eine Hochrechnung und die ist erschreckend: Die unvorstellbare Zahl von 2.8 Millionen Grundschulkinder hatten 2018/19 kein ausreichendes Angebot an Musikunterricht. 23 000 Fachkräfte fehlen. Zu wenige Lehrerinnen und Lehrer sind im Fach Musik ausgebildet, 36 % der Fachkräfte sind über 55 Jahre alt, werden 2028 in den Ruhestand gehen. Ein großer Prozentsatz des Musikunterrichts wird fachfremd erteilt. Der Bildungsauftrag, Kinder bis zum 11 Lebensjahr so viel kulturelle Vielfalt wie möglich anzubieten, kann so nicht erfüllt werden. Ein Programm zur Sofortfinanzierung einer Lehrkräfteausbildung im Fach Musik wäre dringend notwendig! Hier muss von verschiedenen Seiten nachgearbeitet werden, was die Aus-und Weiterbildung angeht.
Für Sachsen stellt die Studie folgendes fest: Im Schuljahr 2016/17 wurden in Sachsen über 90 Prozent des vorgesehenen Musikunterrichts an den Grundschulen erteilt. Der Anteil des fachfremd erteilten Unterrichts ist im Ländervergleich sehr niedrig. Bedenklich ist vor allem die künftige Entwicklung nach dem Jahr 2028. Angesichts der Zahlen der Absolventinnen und Absolventen mit Zweiter Lehramtsprüfung im Fach Musik in den vergangenen Jahren und der Erstsemesterzahlen wird deutlich, dass selbst bei optimistischer Berechnung die Musiklehrkräfte, die aus dem Schuldienst ausscheiden, nicht adäquat ersetzt werden können. Dabei ist zu bedenken, dass die Zahl der Musikstunden in der Stundentafel niedriger als in anderen Ländern ist, vor allem aber unter der Zahl pro Schuljahr liegt, die von den Fachverbänden als notwendig für die kontinuierliche musikalische Bildung erachtet wird. Es werden deutlich mehr junge Musiklehrkräfte gebraucht, um bei leicht rückgängigen Schülerzahlen den Status quo langfristig zu sichern. Im nächsten Jahrzehnt kann aufgrund der demographischen Entwicklung und der genannten Maßnahmen die unzureichende Nachwuchssituation noch aufgefangen werden. Eine deutliche Verschlechterung der fachlichen Versorgung mit Musikunterricht ist aber langfristig absehbar, weil nach 2028 innerhalb eines Jahrzehnts fast 60 Prozent der Musiklehrkräfte in den Ruhestand gehen.
Das vokale und instrumentale Laienmusizieren gehört zum Immateriellen Kulturerbe unseres Landes.Im 19. Jahrhundert wurden die deutschen Laienchöre zum Schwerpunkt bürgerlicher Musikkultur. Mit dieser Emanzipationsbewegung leisteten sie einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung der bürgerlichen Gesellschaft und damit zur Demokratiebewegung. Heute stellt das Singen im Chor das Rückgrat der Musikpflege und Musikausübung dar.
Musikalische Bildung knüpft in zweierlei Weise an die leibliche Ausstattung des Menschen an: im Besitz der Stimme, unserem ureigenen Instrument, und in der nach Außen gewandten Gestaltung unserer körperlich-rhythmischen Lebensgrundlagen. Daher vermag musikalische Bildung in besonders verdichteter Weise unsere Innen- und Außenwahrnehmung zu koordinieren und zu fördern.Wer sich künstlerisch ausdrückt, übt gleichermaßen den Eigensinn einer autonomen Persönlichkeit und partnerschaftliche Verantwortung in der Gemeinschaft.
Wir betrachten weiterhin die Förderung des Musizierens im Ensemble als einen wichtigen Bestandteil des Schulalltags, um die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit musikalischer Bildung jedem Kind zu ermöglichen. Aus rein organisatorischen und finanziellen Gründen heraus sollte der Schwerpunkt unserer Anstrengungen beim Singen im Chor liegen. Andere Formen des Ensemblemusizierens (Orchester, Brass- oder Pop-Bands) sollen dabei nicht unberücksichtigt bleiben.
Die Anhörung des Sächsischen Landtages vom 18. August 2017 zu diesem Thema hat gezeigt, dass es ein fraktionsübergreifendes Interesse auf Landesebene gibt, sich dieses wichtigen Themas anzunehmen.
Wir schlagen daher folgende vier Aufgaben vor, die als Empfehlung für das weitere Handeln der Staatsregierung dienen sollen:
1. Das Musizieren im Ensemble soll bindend in den Musikuntericht bzw. Ergänzungsbereich der Schulen integriert werden. Eine Verlagerung dieser Praxis in den GTA-Bereich wird in den nächsten Jahren dazu führen, dass es weniger Angebote gibt, die auch qualitativ den Anforderungen entsprechen. 50% aller Schulen in Sachsen haben bereits kein musikalisches Ensembleangebot.
2. Regelmäßig verpflichtende Fortbildungsangebote für Schulmusiker aller Schularten müssen die Durchführbarkeit dieses Angebots unterstützen. Die Musikhochschulen in Dresden und Leipzig sowie der Sächsische Musikrat bieten hierzu Ihre Hilfestellung bei der organisatorischen und inhaltlichen Begleitung an.
3. Über die Öffnung des Mobilitäts-Programm des Freistaates Sachsen zur Förderung Kultureller Bildungsangebote wird Schulensembles die Möglichkeit gegeben, einmal im Jahr ein Probenlager an einem qualifizierten Probenort zu absolvieren. Der Freistaat Sachsen verfügt über eine Landesmusikakademie und soll sie dafür nutzen. Dieses Angebot für die Ensemble dient der Motivation der im Ensemble Tätigen und der Qualifizierung der inhaltlichen Arbeit.
4. Das Sächsische Landesamt für Schule und Bildung soll den Prozess einer qualitativen Entwicklung der Aktivitäten der musikalischen Ensemblearbeit an den Schulen in Sachsen aktiv begleiten.
Rebekka Frömling, amtierende Rektorin der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden
Claudia Keibler-Willner, Präsidentin des Landesverband Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen im Verband Deutscher Konzertchöre
Henno Kröber, Präsident des Landesverband Sachsen im Bundesverband Musikunterricht
Prof. Dr. Christoph Krummacher, Präsident des Sächsischer Musikrat e.V.
Prof. Martin Kürschner, Rektor der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig
Horst Wehner, MdL, Präsident des Sächsischer Chorverband e.V.
Dresden, 7. Mai 2018