Mit der Herausgabe von Empfehlungen für faire Vergütungen musikalischer Leistungen wird der Anspruch auf leistungsgerechte Bezahlung von Musikern* in öffentlich geförderten Projekten in Sachsen in Form eines Zahlenwerks geltend gemacht. Verbände wie die Deutsche Orchestervereinigung und der Deutsche Tonkünstlerverband veröffentlichen dazu bereits regelmäßig Empfehlungen auf Länder- und Bundesebene. Die besondere Situation der Kulturfinanzierung in Sachsen wird nach Meinung der Autoren durch diese Empfehlungen nicht realistisch widergespiegelt. Dies zeigen auch Auswertungen des Sächsischen Musikrates (SMR) aus Budgetplänen von ca. 200 öffentlich geförderten Projekten aus den Jahren 2017 bis 2019. Der SMR hat dazu einen breit angelegten Diskurs der Beteiligten in der Branche durchgeführt.
Als Resultat der Meinungsfindung wird mit dieser Empfehlung ein »Ampelsystem« für Vergütungen zwischen Sozialstandards und ersten Schritten wirklich fairer Vergütungen zur Umsetzung im Zeitraum bis in das Jahr 2027 vorgeschlagen. Sie sollen in Projekten und Institutionen gelten, die durch Steuermittel anteilig finanziert werden. Mit der Veröffentlichung sind die unterschiedlichen Ebenen der Kulturförderung in Sachsen aufgerufen, gemeinsam mit dem SMR die vorhandenen Förderstrategien weiter zu entwickeln. Die Nichtbeachtung der aufgeführten Sozialstandards oder die mangelnde Transparenz bei den jeweiligen Leistungsbeschreibungen sollen ein selbstverständlicher Ausschlussgrund für die öffentliche Förderung sein.
Dort, wo die Forderung nach fairen Vergütungen für musikalisch-künstlerische Leistungen zunächst auf erhebliche Finanzierungsprobleme bei ihrer Umsetzung, auf grundsätzliche Ablehnung, z.B. wegen der Verhandlungsfreiheit, oder auf Unverständnis stößt, sollen die Empfehlungen ein notwendiges Umdenken anregen, um damit schrittweise und solidarisch für die Verbesserung der Existenzgrundlagen freier Musiker und den Erhalt der kulturellen Vielfalt in der Musik zu wirken. Nicht nur das Produkt sondern auch die Leistungserbringung muss in den Focus rücken.
Wir unterstützen ausdrücklich die Initiative GOOD PLAY. FAIR PAY. der Deutschen Orchestervereinigung zur Vergütung von Aushilfen professioneller Orchester, Rundfunkchöre und -bigbands sowie die grundsätzlichen Ziele der Bewegung »ArtbutFair« für eine Selbstverpflichtung aller Akteure der Kultur. Wir sind überzeugt, dass sich angemessene und faire Vergütungen in der Kultur nicht allein durch Richtlinien und Vorgaben erreichen lassen.
Der SMR hat im Zeitraum von März 2019 bis April 2021 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die in ihrer Zusammensetzung sowohl Leistungserbringer, als auch Leistungsempfänger (z.B. Veranstalter) abbildet. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe verbinden die Vorlage dieser Richtlinie mit dem Wunsch nach einem Diskurs zur Umsetzung in der Förderpraxis.
Zur Einführung fairer Vergütungen empfiehlt die Arbeitsgruppe die Erarbeitung und Verabschiedung einer gemeinsamen Willenserklärung beteiligter Entscheidungsträger auf allen politischen Ebenen für einen Stufenplan zur schrittweise Erhöhung der Mindeststandards hin zu fairen Vergütungssätzen. Der von der Arbeitsgruppe vorgeschlagene Stufenplan soll dafür den Zeitraum von sechs Jahren umfassen.
Die Arbeit soll in der Folge auf weiteren Feldern des Musiklebens fortgeführt werden.
Diese Empfehlungen dienen der Bemessung einer Vergütung bei individuellen Vertragsverhandlungen und der Bestimmung der üblichen Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB. Sie übernimmt die Aufgabe eines Leitfadens und einer Orientierungshilfe für individuelle Vertragsverhandlungen zwischen Veranstaltern oder Auftraggebern und Musikern.
Diese Empfehlungen verlieren ihre Gültigkeit an dem Tag, an dem ein Bundesgesetz oder ein sächsisches Landesgesetz oder eine entsprechende Richtlinie des Bundes oder des Freistaates Sachsen zur Regelung von Honorarvergütungen für Musiker in Kraft tritt. Die folgenden Vergütungsempfehlungen sollen ab dem Jahr 2022 wirksam werden.
Zur Berechnung der nachfolgend angegebenen Vergütungssätze wurden u.a. beachtet:
Sie ergeben unter Berücksichtigung realistischer Leistungsannahmen mittlere Bruttoeinkünfte in der Dimension der am Ende der Tabelle angeführten Einkommens-Vergleichswerte bei Vollbeschäftigung (detaillierte Berechnung).
Mit den vorgeschlagenen Vergütungssätzen der drei Bereiche (farbige Ampel-Markierung) können die erzielbaren Einkünfte nur bei deutlicher Überschreitung des Regel-Arbeitszeitvolumens die entsprechenden Vergleichs-Werte der Armutsgefährdungsgrenze (roter Bereich), des Mindestlohnes (gelber Bereich = empfohlener Mindeststandard) und des sog. Niedriglohnsektors (grüner Bereich) überschreiten. Das bestätigen sowohl die Daten der aktuellen Befragung als auch die veröffentlichten Daten der Künstlersozialkasse (KSK).
Der SMR empfiehlt deshalb, unter Beachtung aller Faktoren und der in der Anlage zum Papier gegebenen Erläuterungen, die in der folgenden Tabelle gelb markierten Vergütungssätze als verbindliche Standards bei der Planung und Zuwendung von öffentlich geförderten Projekten festzulegen.
Darüber hinaus soll eine Unterschreitung der im »roten Bereich« notierten absoluten Mindestsätze eine Verweigerung der öffentlichen Förderung für die damit verbundenen Leistungen nach sich ziehen.
1 alle Beträge in Euro
2 Ensemble (Orchester/Chor) für Musiker in freien Orchestern und Chorprojekten
3 Solo-Satz für Instrumentalsolisten, auch solistisch auftretende Ensemblemusiker
4 Solo-Satz für Vokalsolisten, auch solistisch auftretende Ensemblemusiker
5 Die Vergleichswerte sind Monats-Bruttoeinkommen (vor Sozialabgaben und Steuern) pro Erwerbsperson, die nach dem in der Anlage erläuterten mittleren zu erwartenden Leistungsumfang durch freie Musiker mit den Vergütungssätzen des jeweiligen Bereichs bei Vollauslastung annähernd erreicht werden können.
Honoraraufschläge auf den Standard-Satz (in der Regel auf Höhe der Solo-Sätze) sind zu gewähren für: Transport großer Instrumente (u.a. Pauke, Schlagzeug, Harfe, Cembalo), das Stimmen von Tasteninstrumenten, mehrfache Aufführungen am Konzerttag, auch für besonders lange oder schwierige Werke, Solo, Stimmführung, das Spielen von historischen Instrumenten oder Sonderinstrumenten
Hinweise
• Bei Absagen durch den Veranstalter bleibt der Honoraranspruch bestehen. Musikern wird deshalb empfohlen, mündliche Absprachen per E-Mail einseitig zu bestätigen.
• Reisekosten sind gemäß Sächsischem Reisekostengesetz zu erstatten.
• Ton- und Bildaufnahmen erfordern eine schriftliche Vereinbarung. Mediale Verwertungen jeglicher Art sind gesondert zu honorieren.
• Studenten erhalten die vollen Mindesthonorare, wenn das Projekt nicht Bestandteil ihrer Ausbildung bzw. der Nachwuchsförderung dient.
• Zahlungen erfolgen innerhalb von 30 Tagen nach Projektende (§ 286 Abs. 3 BGB). Anderenfalls können Schadensersatzansprüche entstehen (§ 280 Abs. 1, 2 und § 286 BGB).
Für die Mehrzahl der Veranstalter, Institutionen und Auftraggeber ist eine vollständige Umsetzung der Empfehlungen wirtschaftlich, politisch oder fördertechnisch nicht sofort realisierbar. Andererseits dürfen und können sich die Empfehlungen für angemessene Honorare und die Ermittlungen von Mindest-Entgelten als unterste Grenze einer fairen Bezahlung von Akteuren in der Musik nicht nur an den aktuell üblichen, in der Regel für eine nachhaltige Existenzsicherung der Künstler viel zu niedrigen Sätzen und geplanten Budgets orientieren, sondern müssen von realen Erfordernissen, der wirtschaftlichen Notwendigkeit zum Erhalt der Angebote und zur Sicherung der Existenz der Anbieter künstlerischer Leistungen ausgehen.
Für die Umsetzung einer fairen Bezahlung in dafür angemessenen Budgets und wirtschaftlichen Strukturen soll allen Beteiligten daher in einem mehrjährigen Übergangsprozess mit kalkulierbaren Stufen ein realistischer Rahmen für die erforderliche Anpassung von Budgets, Angeboten, Preisen und Rahmenbedingungen vorgeschlagen werden. Nach diesem Stufenplan ist weiterhin eine jährliche bis zweijährige Überprüfung der Empfehlungen und ggf. Ihre Anpassung an die Entwicklung der beruflichen Kosten, der Branchenbedingungen, des Musik- und Veranstalter-Marktes, der Kaufkraft und der Lebenshaltungskosten vorgesehen. Im genannten Zeitraum muss es jedoch in einer gemeinsamen gesellschaftlichen Anstrengung gelingen, die bisherige Stagnation der Entgelte und den entstandenen großen Abstand zu einer angemessenen und fairen Honorierung mit für alle Beteiligten zumutbaren Schritten zu überwinden.
Der Sächsische Musikrat bedankt sich bei den Initiatoren und fachkundigen Kollegen für die kritische Hilfestellung zu diesem Papier, namentlich: Dorothee Eychmüller, Maximilian Fleischhack, Rebecca Fröhlich, Sebastian Haas, Nikolai Kähler, Johanna Krumin, Markus Leidenberger, Annelie Matthes, Gregor Nowak, Cornelia Pfeil, Michael Plättner, Christian Scheibler, Gabor Scheinpflug, Andreas Wenske und Georg Zeike.
Dresden, im Mai 2021
* Hinweis: Da in der deutschen Sprache durch das generische Maskulinum alle Geschlechter gleichermaßen miteinbezogen werden, wird in diesem Text aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf ein angehängtes »innen« und dergleichen verzichtet.
Auf Wunsch senden wir Ihnen gerne ein oder mehrere Exemplare der gedruckten Fassung dieser Empfehlungen zu. Bitte senden Sie uns dazu eine entsprechende E-Mail.
In vielen Veröffentlichungen orientieren sich die Vorschläge für »faire Vergütungen für Musiker«* an den Vergütungs- und Bemessungskriterien der Tarifverträge für Leistungen in Orchestern bzw. Solo-Engagements, so auch die Empfehlungen der DOV*. Tatsächlich wird diese Kategorisierung von vergüteten Leistungen bisher in der Realität selten so umgesetzt. Im Rahmen der AG »faire Vergütungen« wurde deshalb die berufliche und vertragliche Praxis von insgesamt 16 Musikern repräsentativ über verschiedene, typische Tätigkeitsbereiche des Musiklebens und bis zu 5 Tätigkeitsjahre in Einzelinterviews auf Grundlage einer detaillierten Befragung analysiert, z.T. verbunden mit der Auswertung vertraulich offen gelegter betriebswirtschaftlicher Daten. Parallel dazu erfolgte in Zusammenarbeit mit dem SMR eine anonyme online-Befragung, an der sich von mehr als 650 angesprochenen Musikern und Akteuren des Musiklebens in Sachsen 17% beteiligt haben. Die Ergebnisse der online-Befragung bestätigen wichtige Folgerungen aus den Einzel-Analysen:
Die online-Befragung freier Musikern in Sachsen ergab eine mittlere Rentenerwartung von 450 Euro/Monat.
Laut Deutscher Rentenversicherung gilt:
Frage: Wenn ein selbstständiger Künstler oder anderweitig Kreativer (jeweils m/w) mit KSK-Mitgliedschaft 40 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt: Wie viel Jahreseinkommen muss er oder sie durchschnittlich melden, um aus heutiger Sicht später eine Rente über Mindestsicherung (etwa 850 Euro) zu bekommen?
Antwort: Unter Berücksichtigung der aktuellen Berechnungsgrößen (aktueller Rentenwert West ab 1. Juli 2017 = 31,03 Euro, vorläufiges Durchschnittsentgelt 2017 = 37.103 Euro) ergibt sich stark vereinfacht folgende überschlägige Berechnung: 25.410 Euro ./. 37.103 Euro = 0,6849 EGPT x 31.03 Euro x 40 Jahre = 850 Euro Rente brutto