Inga Mareile Reuther

Als Kind hörte und sang ich zu Hause nur Popularmusik. Ich wurde 1963 in eine Arbeiterfamilie geboren, zunächst alleinerziehend und bin später in einer jungen Familie mitten in der Großstadt Frankfurts aufgewachsen. Einen besonderen Einfluss auf die Klangästhetik des Singens hatte meine Erzieherin im Kindergarten Die sehr kindgerecht und hoch singende Schwester Erika sang täglich begeistert mit uns im Kreis stehend, kombiniert mit kleinen Bewegungselementen. Erst diese Singrituale bauten meine damaligen Sprachstörungen ab und so lernte ich nach einem halben Jahr über das »singende« Erzählen endlich das normale Sprechen. In meiner nicht allzu bildungsnahen Familie kam ich mit klassischer Musik erst mit neun Jahren in Verbindung als ich Klavierunterricht erhielt. Eine sehr gute bulgarische Klavierlehrerin machte mich mit sehr viel tollen Komponisten vertraut und eröffnete mir die Welt der wunderbaren Kompositionen des abendländischen Kulturguts. Als Jugendliche ging ich oft in die Oper und nahm privaten Gesangsunterricht. Nach dem Abitur studierte ich Klavier, elementare Musikpädagogik (EMP) und Gesang in Münster. Während des Studiums begann ich in der Westfälischen Schule für Musik in Münster zu unterrichten und hatte 1996 als Bezirksleiterin in einem sozialen Brennpunkt besonders viel Freude an Kinderchören. Die leuchtenden Kinderaugen beim Singen erinnerten mich immer an meine freudige Zeit im Kindergarten. Nach einigen Musicalproduktionen mit vielen hundert Kindern aus Schulen im Brennpunkt und nach der Geburt meiner kleinen Tochter entwickelte ich allmählich das Singkonzept »Jedem Kind seine Stimme-Singende Grundschulen (JEKISS)« Einige Jahre später durfte ich gute Gesangskolleg/-innen in meiner Methodik schulen und binnen drei Jahren schaffen wir als 10-köpfiges Team, gefördert vom Land NRW, ganze sechsundzwanzig »Singende« Grundschulen in Münster ins Leben zu rufen. Dank ihnen singen noch heute viermal jährlich über 6000 Grundschulkinder in ihren gemeinsamen Schulsingen. Der rote Faden, der sich durch die ganzen Jahre zieht, ist der so wertvolle und auch nötige monatliche Erfahrungsaustausch unseres JEKISS-Chorleiter-Teams und die immerwährende Freude an dem Flow im Singen mit Kindern und Eltern. Diese Art von musikalischer Basisausbildung erscheint uns genau wie vor 17 Jahren immer noch als der beste Einstieg in das Erlernen sämtlicher Instrumente und verschafft den Kindern als eine Art »musikalische Grundnahrung« ein auswendiges Liedrepertoire, dass womöglich sogar später an eigene Kinder weitergegeben werden kann.

Als 2010 mehr und mehr Kinder aus den JEKISS-Grundschulen herauswuchsen, hatten wir in der Musikschule die Chance, besondere Gesangstalente der JEKISS-Chöre in Kleingruppen zu fördern (Sing On- Gruppen zu jeweils sechs Kindern) oder auch im Einzelunterricht zu betreuen. So haben die letzten 14 Jahre gerade ehemalige JEKISS Kinder oftmals in allen Stilrichtungen beim Wettbewerb Jugend musiziert in vielen verschiedensten Kategorien Erfolge gehabt.

Nach wie vor ist für mich der Einzelunterricht im Fach Gesang, egal ob Pop oder Klassik einer der schönsten und erfüllensten Aufgaben. Zu sehen, wie junge singende Menschen mit ihrem Auftrittstraining ein Selbstbewusstsein aufbauen, das spätere Referatsvorträge in der Schule zum Kinderspiel werden lassen, macht einfach Spaß.

Es ist mir ebenso ein großes Anliegen, den heutigen Bedürfnissen von Schüler/-innen zu entsprechen, was Popgesang angeht, aber sie vor allem nach wie vor mit dem klassischen Singen vertraut zu machen. Diese wundervolle, über Generationen entstandene Kulturtechnik hat in den Medien meiner Meinung nach viel zu wenig Gewicht. Wir müssen uns bemühen diese zu fördern und zu erhalten.