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Deutschlands größte und bedeutendste Drumset-Sammlung steht auf einem Dachboden in Dresden

Der ehemalige Museumsdirektor und Hobbydrummer Dr. Igor A. Jenzen sammelt Drumsets. Mittlerweile besitzt er 35 davon, aber auch kuriose Einzelteile wie Fußmaschinen, Felle und Spannreifen. Christina Schimmer (Text) und Matthias Pagenkopf (Fotos) haben den Sammler besucht.


Kalt war es an einem trüben Wintermorgen, als wir die Stufen zum Dachboden hinaufstapfen. »Ziehen Sie sich warm an«, diesen Rat hat uns Dr. Igor A. Jenzen vorher mit auf den Weg gegeben. Nun empfängt er uns, warm eingepackt, Atemwölkchen sind zu sehen.

Er ist »frisch gebackener« Rentner, noch bis zum Dezember 2021 hat Jenzen das Museum für Sächsische Volkskunst geleitet. Die Kombination aus Hobbyschlagzeuger und Kunsthistoriker ist ein Glücksfall, denn Jenzen hat mittlerweile 35 komplette Drumsets gesammelt, die wir nun alle bestaunen dürfen. Und wir staunen nicht schlecht, denn neben Sets verschiedener Epochen finden sich exotische Einzelteile, Geräte, die es heute nicht mehr gibt, weil sie sich nicht durchgesetzt haben. Dr. Jenzen erklärt uns zunächst die Geschichte des Drumsets.

Aus Einzelteilen wird ein »Set« und gibt es das wirklich erst seit 1918?

Die Ursprünge reichen weiter zurück. Sie entstanden aus einer Mischung der europäischen Marschmusik mit ihrer Betonung der »eins« und der afrikanischen Tanzmusik, bei der der Off-Beat, die Betonung auf »zwei« und »vier« lagen. In Louisiana, einem Schmelztiegel der Kulturen, sprossen zahlreiche Musikgruppen wie Pilze aus dem Boden. Aus der Militärmusik heraus entwickelten sich sogenannte »Marching Bands«, die durch die Straßen zogen oder in Bars zum Tanz aufspielten. Die Geschichte des Drumsets folgt der des Tanzes, weil es immer eine Begleitung zum Tanz war.

Im Sinne der Wirtschaftlichkeit wollte man die Anzahl der Musiker/-innen verkleinern und begann zu experimentieren: Verschiedene Trommeln und ein Becken wurden zusammengebaut. Man feilte an Techniken, um mehrere Schlaginstrumente gleichzeitig spielen zu können, stellte die Schnarrtrommel auf einen Stuhl, später setze man sich auf diesen Stuhl. 1850 soll die erste Fußmaschine zum Einsatz gekommen sein. Der große Vorteil am Bassdrum-Pedal: Der Drummer hat seine Hände frei, um andere Instrumente zu spielen. Man kaufte Toms und die kleine Trommel in Chinatown und bastelte sich alles selbst an und um die große Bassdrum. Die China Toms sind die Urform der Toms. Sie haben beidseitig, mit Nägeln angeschlagene Felle und waren traditionelle Tempel Trommeln für Rituale. Die Felle waren zunächst nicht stimmbar. Naturfelle haben den Nachteil, sehr auf Luftfeuchtigkeit zu reagieren. Im saunaähnlichen Klima von Tanzlokalen verloren sie schnell ihre Spannung, klangen dumpf und mussten ständig nachgestimmt werden. Die Stimmbarkeit selbst hängt aber nicht vom Naturfell ab, sondern vom Stimmreifen, der justierbar sein muss. Diese Reifen waren anfangs aus Holz, später aus Metall. Kunststoffelle gibt es seit 1960.

Der Siegeszug eines kompletten Schlagzeugsets begann 1918, als eine amerikanische Firma deutscher Einwanderer namens Ludwig & Ludwig-Söhne mit der Serienproduktion eines funktionstüchtigen Sets begann. Man legte das Jahr 1918 fest, weil der Katalog der Firma Ludwig datiert war. Die meisten Kataloge zu jener Zeit blieben undatiert, weil die teuren Lithographien für mehrere Jahre gelten sollten. Die Hersteller veränderten nur die Preise.

Dass das Ursprungsjahr des Drumset auf 1918 festgelegt wurde, stört den leidenschaftlichen Sammler. Er hat schon vor 1918 Hinweise auf den Verkauf von Drumsets in Deutschland gefunden.

Die Ursprünge liegen in Sachsen

Das älteste Instrument aus seiner Sammlung ist ein Max Schimmel, kommt aus Markneukirchen und wurde um 1915 hergestellt. Das Vogtland mit dem Musikwinkel um Markneukirchen, Klingenthal, aber auch Weißenfels waren Zentren der Drumset Herstellung. Die Vorfahren fast aller amerikanischen Schlagzeughersteller waren von dort nach Amerika eingewandert. Das gilt für Ludwig, Schlingerland und Gretsch. Aus dem deutschen Namen Schlingerland wurde in Amerika Slingerland.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts importierte man fast alle amerikanischen Trommeln aus dem Vogtland, doch nur in Amerika gab es diese Mischung aus europäischer und afrikanischer Musik, aus der der Ragtime entstanden ist.

Kurioses ist auch dabei

Jenzen besitzt echte Raritäten wie einen von einem übereifrigen Rockmusiker zertrümmerten Spannreifen oder ein Gretsch Defender Set aus dem zweiten Weltkrieg. Hier ist das Besondere, dass aufgrund des Metallmangels im Krieg sogar die Stimmböcke aus Holz sind. Eine amerikanische Kriegs-Verordnung gab vor, dass nur 10 % Metall verwendet werden durfte, um Metalle vorrangig für Munition verwenden zu können.

Dr. Jenzen besitzt nicht nur Hi-Hats, das sind Becken, die durch einen Pedaltritt aneinanderschlagen, sondern auch einen »Low Boy«, also Becken, die am Boden liegend getreten werden. Der »Low Boy« hat sich nicht bewährt, überhaupt gibt es einige Erfindungen, vor allem im Bereich von Fußmaschinen, die sich nicht durchgesetzt haben. Die frühen Fußmaschinen, zu deutsch »Schlagapparate«, waren leicht und in drei Teile zerlegbar, bestanden aus Trittplatte, Säule mit Lager und Feder und Klöppel.

Nach gut zwei Stunden auf dem Dachboden sind wir durchgefroren, aber so fasziniert, dass wir die kalten Füße erst später im Wohnzimmer beim Genuss von heißem Tee bemerken. Um einem größeren Kreis von Interessierten die Möglichkeit zu bieten, die Geschichte des Drumsets so anschaulich zu erleben luden wir Dr. Jenzen in die Landesmusikakademie Sachsen nach Colditz ein. Im Mai war es dann soweit: Wir packen fünf Sets in zwei Autos und los geht es zur Lecture Performance: History of Drumset. Die Reise wird ein Erfolg, junge Schlagzeuger/-innen aus ganz Sachsen strömen mit ihren Lehrern ins Muldental, hören den Vortrag von Dr. Jenzen und probieren die Instrumente aus.